Neurowissenschaftlerin gewinnt Förderpreis des Deutschen Primatenzentrums
Wenn wir uns eine Schale mit Äpfeln anschauen, haben wir ein Gefühl dafür, wie viele Früchte wir sehen, ohne dass wir sie vorher zählen. Dieser Zahlensinn erlaubt es bereits kleinen Kindern und auch Tieren, Anzahlen intuitiv einzuschätzen. Wie dieser Prozess auf der Ebene der Nervenzellen im Gehirn umgesetzt wird, hat die Neurowissenschaftlerin Pooja Viswanathan in ihrer Doktorarbeit an der Universität Tübingen untersucht. In ihrer Arbeit mit Rhesusaffen fand sie heraus, dass sogenannte Zahlenneuronen in der Großhirnrinde selektiv auf unterschiedliche Anzahlen reagierten, noch bevor den Affen beigebracht wurde, diese zu unterscheiden. Primaten besitzen also einen früh entwickelten Zahlensinn, der nicht erlernt werden muss. Weitere Untersuchungen mit trainierten Affen zeigten zudem, dass die Nervennetzwerke des Zahlensinns durch Lernen und Erfahrung verbessert werden können. Für ihre Erkenntnisse wurde Pooja Viswanathan mit dem diesjährigen Förderpreis des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung ausgezeichnet. Der Preis wird alljährlich vom Förderkreis des Instituts an Nachwuchswissenschaftler verliehen, die mit oder über nicht-menschliche Primaten forschen. Die Auszeichnung ist mit einem sechsmonatigen Stipendium an einem Forschungsinstitut eigener Wahl und einem Geldbetrag in Höhe von 1000 Euro dotiert, der von der Firma Euroimmun, Lübeck, gestiftet wurde. Die Preisverleihung mit einem Vortrag der Preisträgerin in englischer Sprache findet am Montag, dem 19. November 2018, um 17:15 Uhr im Hörsaal des Deutschen Primatenzentrums, Kellnerweg 4, in Göttingen statt. Besucher sind herzlich zu der Veranstaltung eingeladen.
In ihrer Arbeit untersuchte Pooja Viswanathan die Aktivität von Zahlenneuronen in zwei Bereichen der Großhirnrinde: dem Stirn- und Scheitellappen. „Zahlenneuronen repräsentieren bestimmte Anzahlen wie drei oder vier“, erklärt Pooja Viswanathan. „Ein Neuron, dessen bevorzugte Zahl drei ist, ist am stärksten aktiv, wenn drei Äpfel in einer Schale sind. Das gleiche Neuron würde aber auch reagieren, wenn stattdessen drei Nüsse in der Schale wären, drei Eier in einem Karton oder drei Personen in einem Raum.“
Um herauszufinden, ob Primaten einen Zahlensinn besitzen, untersuchte Viswanathan, die Aktivität von Zahlenneuronen im Gehirn von Rhesusaffen, die nicht auf die Unterscheidung von Anzahlen trainiert waren und verglich diese mit denen trainierter Affen. Die Nervenzellen der nicht trainierten Affen reagierten ebenso wie die der trainierten Affen auf eine bestimmte Anzahl von Punkten, die den Affen präsentiert wurde. Damit konnte sie erstmals zeigen, dass Primaten einen früh entwickelten Zahlensinn besitzen. „Die Zahlenneuronen bildeten sich nicht erst durch Training im Gehirn der Affen aus, sondern waren schon vorher vorhanden“, erklärt Viswanathan. In einer Reihe weiterer Untersuchungen konnte die Neurowissenschaftlerin belegen, dass der Zahlensinn nicht starr und unabhängig von Erfahrungen ist. Besonders im Stirnlappen konnte sie bei den trainierten Affen mehr und besser abgestimmte Zahlenneuronen nachweisen, die hoch selektiv auf verschiedene Anzahlen reagierten. „Ob die Zahlenneurone von Geburt an vorhanden sind oder durch sehr frühe Erfahrungen in unserer Umwelt ausgebildet werden, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings kann die Selektivität der Zahlenneurone durch das Erlernen von Zahlen verbessert werden“, fasst Viswanathan ihr Ergebnisse zusammen.
Pooja Viswanathan (31) studierte von 2004 bis 2007 Naturwissenschaften an der Osmania University in Hyderabad, Indien. Nach ihrem Bachelorabschluss in Genetik, Mikrobiologie und Chemie war sie drei Jahre am National Brain Research Centre in Manesar, Indien, tätig. Anschließend kam sie nach Deutschland, wo sie 2012 ihren Masterabschluss an der Universität Tübingen im Studiengang Neural and Behavioural Sciences absolvierte und danach am dortigen Institut für Neurobiologie in der Abteilung von Andreas Nieder promovierte. Seit Juni 2018 arbeitet Pooja Viswanathan als Postdoktorandin im Laboratory of Neural Systems an der New Yorker Rockefeller University. „Der Förderpreis des DPZ unterstützt meine derzeitige Forschung im Bereich des sozialen Gedächtnisses“, sagt Viswanathan. „Zukünftig möchte ich untersuchen, welche Prozesse im Gehirn es ermöglichen, dass wir uns an einzelne Gesichter erinnern können.“
„Frau Viswanathan hat eine exzellente wissenschaftliche Arbeit angefertigt, die ein ungewöhnlich breites Methodenspektrum zeigt und dazu beiträgt, die Verarbeitungsprozesse des Gehirns im Bereich des Zahlensinns besser zu verstehen“, begründet der Wissenschaftliche Beirat des DPZ seine Wahl. Die Mitglieder des extern besetzten Beirats wählen jährlich die Preisträger aus. Der DPZ-Förderpreis ist einer der höchstdotierten Preise für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in Deutschland. Er wird vom Förderkreis des DPZ verliehen, einem gemeinnützigen Verein, der die Forschung über und mit Primaten unterstützt und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördert.