Handprothesen mit Gedankenkraft präziser steuern
Forschende am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben in einer Studie mit Rhesusaffen ein neuartiges Trainingsprotokoll für eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt. Die Methode ermöglicht die präzise Kontrolle einer Handprothese, allein durch Nutzung von Signalen aus dem Gehirn. Erstmalig konnten Forschende zeigen, dass dafür hauptsächlich neuronale Signale wichtig sind, die im Gehirn die verschiedenen Haltungspositionen einer Hand steuern und nicht, wie bisher angenommen, die Signale, die die Geschwindigkeit einer Bewegung kontrollieren. Die Ergebnisse sind essentiell, um die Feinsteuerung von neuronalen Handprothesen zu verbessern, um damit gelähmten Patienten teilweise oder ganz ihre Mobilität zurückzugeben (Neuron).
Einkaufstaschen tragen, einen Faden in ein Nadelöhr einfädeln – Kraft und Präzisionsgriffe gehören zu unserem Alltag. Wie wichtig (und großartig) unsere Hände sind, merken wir erst dann, wenn wir sie nicht mehr benutzen können, beispielsweise durch eine Querschnittslähmung oder Erkrankungen wie ALS, die fortschreitende Muskellähmungen hervorrufen.
Um Patienten zu helfen, forschen Wissenschaftler*innen seit Jahrzehnten an Neuroprothesen. Diese künstlichen Hände, Arme oder Beine könnten Menschen mit Behinderungen ihre Mobilität zurückgeben. Die Überbrückung geschädigter Nervenverbindungen geschieht hierbei über Gehirn-Computer-Schnittstellen, die die Signale aus dem Gehirn auslesen, in Bewegungen übersetzen und so die Prothese steuern können. Bislang fehlt es jedoch besonders bei Handprothesen an der nötigen Feinmotorik, um im täglichen Leben Anwendung zu finden.
„Wie gut eine Prothese funktioniert, hängt vor allem davon ab, welche neuronalen Daten die Computer-Schnittstelle ausliest, die sie steuert“, sagt Andres Agudelo-Toro, Wissenschaftler in der Abteilung Neurobiologie am Deutschen Primatenzentrum und Erstautor der Studie. „Frühere Studien zu Arm- und Handbewegungen haben sich dabei auf die Signale konzentriert, die die Geschwindigkeit einer Greifbewegung kontrollieren. Wir wollten herausfinden, ob neuronale Signale, die die Stellung der Hand repräsentieren, möglicherweise besser geeignet sind, um Neuroprothesen zu steuern.“
Für die Studie arbeiteten die Forschenden mit Rhesusaffen (Macaca mulatta). Sie verfügen wie wir Menschen über ein hochentwickeltes Nerven- und Sehsystem sowie eine ausgeprägte Feinmotorik. Deshalb eignen sie sich besonders gut für die Erforschung von Greifbewegungen.
Die Wissenschaftler*innen trainierten zwei Rhesusaffen darauf, eine virtuelle Avatar-Hand auf einem Bildschirm zu bewegen. In der Übungsphase führten die Affen die Handgriffe mit ihrer eigenen Hand aus und sahen dabei gleichzeitig die entsprechende Bewegung der virtuellen Hand auf dem Bildschirm. Ein Daten-Handschuh mit Magnetsensoren, den die Affen während der Aufgabe trugen, zeichnete währenddessen die Handbewegungen der Tiere auf.
Nachdem die Affen die Aufgabe gelernt hatten, wurden sie in einem nächsten Schritt vor die Aufgabe gestellt, eine virtuelle Hand zu steuern, indem sie sich den Griff „quasi nur vorstellten“. Dabei wurde die Aktivität von Nervenzellpopulationen in den kortikalen Hirnarealen gemessen, die spezifisch für die Steuerung von Handbewegungen verantwortlich sind. Die Forschenden konzentrierten sich dabei auf die Signale, die die verschiedenen Haltungspositionen der Hand und der Finger repräsentieren und passten den Algorithmus der Gehirn-Computer-Schnittstelle, die für die Übersetzung der neuronalen Daten in Bewegung verantwortlich ist, in einem entsprechenden Protokoll neu an.
„Abweichend vom klassischen Protokoll passten wir den Algorithmus so an, dass nicht nur das Ziel einer Bewegung wichtig ist, sondern auch wie man dorthin kommt, also der Weg der Ausführung“, erklärt Andres Agudelo-Toro. „Das führte letztendlich zu den genausten Ergebnissen.“
Die Forschenden verglichen anschließend die Greifbewegungen der Avatar-Hand mit den Daten der echten Hand, die sie zuvor aufgenommen hatten, und konnten zeigen, dass diese mit vergleichbarer Präzision ausgeführt wurden.
„In unserer Studie konnten wir zeigen, dass für die Steuerung einer Neuroprothese vor allem die Signale wichtig sind, die die Position und Haltung einer Hand steuern“, sagt Hansjörg Scherberger, Leiter der Abteilung Neurobiologie und Seniorautor der Studie. „Diese Resultate können nun zukünftig genutzt werden, um die Funktionalität der Gehirn-Computer-Schnittstellen zu verbessern und damit auch die Feinmotorik neuronaler Prothesen.“
Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG, Projekte FOR-1847 und SFB-889) und der Europäischen Union (Horizon 2020, Projekt B-CRATOS, GA 965044).
Originalpublikation
Agudelo-Toro A, Michaels JA, Sheng W-A, Scherberger H (2024): Accurate neural control of a hand prothesis by posture-related activity in the primate grasping circuit. Neuron, https://doi.org/10.1016/j.neuron.2024.09.018